ANITA FUCHS
 
 
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ANITA FUCHS
 

LAND

„...Raum, Zeit und Handlung müssen wir zusammen denken...“ aus: Karl Schlögel, Im Raum lesen wir die Zeit, 2006

Land! ist der freudige Ausruf der Seefahrer, wenn endlich im Fernrohr am Ende des Horizonts eine rettende Erhebung erscheint. Das Land beschreibt aber auch eine nationale Einheit, den Grundbesitz oder den Sehnsuchtsort vieler Städter. Aufs Land zu ziehen gilt daher in unseren Breitengraden als Ziel einer breiten Mittelschicht. Dort angekommen zeigt sich das Land häufig als eine standardisierte Einfamilienhaussiedlung unweit der Stadtgrenze, eng umzäunt, von Straßen durchzogen und mit Pflanzen aus dem Baumarkt zu einer Miniatur kultivierter und privatisierter Naturvorstellung gezähmt. Immer lauter wird dem gegenüber die Forderung das Land nicht nur als Nutzlandschaft zu sehen. Das Land in Form einer natürlichen Wildnis gilt dabei als Rettung vor überbordender Klimaerwärmung und globalem Kollaps.

Anita Fuchs´ Ausstellung Land widmet sich auf dem Hintergrund all dieser Konzepte einem Begriff von Land als mehrschichtiges Speichersystem aus ökologischen, politischen und kulturellen aber auch ästhetischen Prozessen, die ineinander überfließen. Fuchs versammelt und übersetzt für Land aktuelle Ergebnisse ihrer künstlerischen Beforschung eines Landstriches der südlichen Steiermark nahe der Grenze zu Slowenien und Ungarn. Für ihre seit Jahren betriebene langsame und genaue Untersuchung dieses Landstriches an der Grenze, pachtet sie seit Herbst 2020 ein Stück Land am Grenzbach Kutschenitza auf dem sie die Forschungsstation Field Station baute, die ihr seither als Ausgangspunkt ihrer eigenen Form der Burckhardtschen Spaziergangswissenschaft dient. Aus der Field Station heraus agiert sie, sammelt und verbindet verschiedene Fach- und Forschungsbereiche und deren Repräsentanten. Partner wie das Oak Observatory Haute Provence, die BOKU Wien, BotanikerInnen, MykologInnen, lokale HistorikerInnen oder auch Institurionen wie das Kunsthaus Graz oder das Belvedere 21 in Wien werden in ihre interdisziplinär aufgestellte künstlerische Forschung einbezogen. In einer Verbindung von botanischen, mineralogischen aber auch konzeptuellen Methoden nutzt sie Ergebnisse von Vermessungen, dokumentarische Zeichnungen, Fotos oder chemische Analysen für ihre Werke. Aus teilweise bearbeiteten Fundstücken, schafft sie neue, transdisziplinäre Ordnungen, Bilder, Plastiken und Installationen, in denen sie Fachbereiche einander gegenüberstellt und inhaltlich miteinander verwebt. Verschiedene Funde werden in systematischen Auslegeordnungen zu ästhetischen Vergleichen von konzeptuellen, wissenschaftlichen und organischen Nachbarschaften. Für die Arbeit Lucy etwa, die im Titel an eine der ältesten Humanoidenfunde der Welt erinnert, legt sie ein Skelett aus Pflanzenversteinerungen aus. Unweit von Lucy pflanzt Fuchs auf einen 11,5 Millionen Jahre alten fossilen Baumstamm aus dem Steinbruch von Mataschen nahe der Forschungsstation, weiße, essbare Mykorrhiza Pilze. Der im Prozess der Inkohlung umgewandelte schwarze Baumstamm besteht fast vollständig aus Kohlenstoff und ist damit chemisch ein wesentlicher Bestandteil für fruchtbaren Humusaufbau. Fuchs schafft so eine höchst fragile Plastik der Gegensätze von schwarz und weiß, alt und jung. Gleichzeitig verweist sie damit auf die Bedeutung wesentlicher ökologischer Kreisläufe jenseits menschlicher Zeitdimensionen. In enger inhaltlicher Verwandtschaft dazu hat Fuchs für eine Serie von Bildern ein Methode der botanischen Aufzeichnung genutzt und mit vegetabilen Säften behandelte Pflanzen durch Hitzeeinwirkung in Rußabdrücke übersetzt. Ebenso systemdurchdringend werden Leinwände mit verschiedenen Erden bemalt, die in ihren unterschiedlichen Farbschattierungen nicht nur über eine Vielzahl von Böden Auskunft geben, sondern auch Lucius Burckhardts Frage „Warum ist Landschaft schön?“ ästhetisch beantworten.

Anita Fuchs' künstlerisches Universum stellt sich nicht nur Karl Schlögels zu Anfang zitierter Aufforderung im Raum die Zeit zu lesen, sondern bewegt sich darüber hinaus bewusst im assoziativ offenen Spielraum künstlerischer Forschung und ästhetischer Bildung. Geschichtswissenschaft, Bildwissenschaft oder Botanik werden von Fuchs ganz in seinem Sinne zusammen gedacht.

(Katrin Bucher Trantow, Chefkuratorin Kunsthaus Graz)